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Blockchain und Journalismus? US-Start-up Civil

Vor kurzem war ich wieder kurz vorm Verzweifeln beim Gedanken daran, wie einfach und schnell sich heutzutage Falschmeldungen über diverse, vor allem Soziale, Medien verbreiten lassen – und wie viele Menschen sich von diesen Meldungen beeinflussen oder mobilisieren lassen. Da kam mir, etwas naiv vielleicht, der Gedanke: Kann da nicht eine Art Blockchain-Struktur helfen? Beim Fakten verifizieren, meine ich?  Passen Blockchain und Journalismus zusammen? So in der Art: Ich habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort dieses und jenes Geschehen beobachtet. Wer noch? Und wenn es genügend Individuen gibt, die das beobachtete verifizieren können, dann wäre dieser Fakt dezentralisiert verifiziert.

Leider funktioniert das natürlich bei vielen Themen, die in Politik, Medien, und dem gesellschaftlichen Zusammenleben generell eine Rolle spielen, nicht so einfach. Viele Zusammenhänge sind einfach zu kompliziert, es spielen zu viele Dinge hinein, als dass man sie als einfache ja-oder-nein-, 1-oder-0-Variable darstelle könnte. Außerdem sind Menschen als dezentrale Speichermedien denkbar schlecht geeignet; zu schnell würde unser Gehirn die „Daten“ mit unseren politischen Einstellungen und Perspektiven einfärben und damit unsere Beobachtung und/oder Erinnerung verzerren. Wir sind schlicht und einfach keine Computer.

Kryptowährung CVL: „Tokens“ als Einsatz für Faktenchecks

Nicht nur in Deutschland suchen journalistische Medien nach neuen, nachhaltigen Wegen der Finanzierung. Auch in den USA ist z.B. der Lokaljournalismus, die Quelle vieler relevanter Geschichten und Recherchen, weniger im Umbruch als vielmehr in einer prekären Lage. Qualitativ hochwertige Berichterstattung leidet oft unter chronischer Unterfinanzierung. Das Start-up CIVIL will hierfür eine Lösung haben: Blockchain und Journalismus zusammen bringen. Anreize setzen für qualitativ hochwertigen, ethischen Journalismus mithilfe einer Kryptowährung.

Civil setzt dabei auf eine eigene Währung, die sich „CVL“ nennt. Sie basiert auf der Ethereum Blockchain. Am 18. September 2018 hat Civil seine ersten CVL-Tokens ausgegeben.
Diese Tokens werden aber nicht zwingend benötigt, um Artikel auf der Plattform zu lesen – Vielmehr geht es darum, über die Tokens ein Recht zur Anfechtung von inkorrekter Berichterstattung, schlechtem Verhalten, Verstößen gegen die Plattform-Regeln und Intransparenz dezentral zu verteilen. 

So funktioniert Civil

Civil ist nur eine Plattform für Journalismus, kein Herausgeber. Die Journalistischen Angebote, die über die Plattform zur Verfügung gestellt werden (auch Newsrooms genannt), können über ihren Finanzierungsweg frei entscheiden – Civil als Plattform schreibt kein Modell vor, schließt auch werbefinanzierte Newsrooms nicht aus. Durch den Verkauf von Tokens sind die Newsrooms aber den Token-Inhabern gegenüber verpflichtet, was die Qualität ihres journalistischen Angebots betrifft. 

Cryptocurrency als Qualitätskontrolle für Journalismus

Wer über genügend Tokens verfügt, der kann einen Newsroom „herausfordern“, wenn ihm ein Verstoß des Newsrooms gegen die Plattform-Regeln von Civil auffällt. Für diese „Herausforderung“ (engl.: „challenge“) muss allerdings in einem ersten Schritt ein Einsatz von 1000 CVL-Tokens gesetzt werden. Das soll verhindern, dass Newsrooms ständig wegen kleinerer Fehler in eine „challenge“ geraten.
Hat jemand einen Newsroom herausgefordert und die nötigen 1000 CVL eingesetzt, können andere Tokeninhaber einen ihrer Tokens nutzen, um abzustimmen, wem sie Recht geben.
Sowohl für Herausforderer als auch Abstimmer gibt es dabei einen finanziellen Anreiz. Ein Newsroom, der eine Abstimmung verliert, muss eine Strafe von 1000 CVL zahlen. Die Hälfte davon erhält der Herausforderer zusätzlich zu seinem Einsatz zurück. Die übrigen 500 CVL werden unter den Teilnehmern der Abstimmung aufgeteilt und ausgezahlt.

Spieltheorie soll Qualitätsjournalismus fördern: Kann das funktionieren?

Damit wird das Qualitätsversprechen der Plattform grundsätzlich von der mathematischen Spieltheorie angetrieben. Das ethische Ideal, der korrekte, faire, unparteiische, nicht von wirtschaftlichem Interesse getriebene Qualitätsjournalismus. Kann er durch finanzielle Anreize für die Leser erreicht werden? Widerspricht sich das nicht?

Das hängt meiner Meinung nach unter anderem auch davon ab, wer die Plattform nutzt und die Kryptowährung CVL erwirbt und einsetzt. Die Nutzer der Kryptowährung Bitcoin in den USA sind tendenziell eher jung und technikaffin (und männlich). Daher denke ich, dass das auch auf die Nutzer von Civil zutreffen wird. In dieser Recht homogenen Gruppe dürften die Einstellungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen häufig nicht allzu weit auseinander gehen. 
Rein theoretisch ist sogar denkbar, dass Newsrooms ihre Berichterstattung an die erwartete Reaktion anpassen (bewusst oder unbewusst), wenn sie dadurch einen finanziellen Nachteil vermeiden können.

Das System von Civil ist deshalb meiner Meinung nach auch leider nicht geeignet um: 
• das Problem der Echo chambers / Filterblasen zu lösen 

• die Spaltung einer Gesellschaft in Extrem-links und Extrem-rechts zu entschärfen oder
• die Verteufelung unliebsamer Berichterstattung als „Fake News“ zu beenden. 


Einen Vorteil allerdings hat der Einsatz einer Blockchain in diesem Fall: Sie ist schwer zu manipulieren. Sollten doch einzelne Personen, Unternehmen oder Institutionen versuchen, sehr viele CVL Tokens zu kaufen, um sich einen größeren Einfluss auf die Civil Newsrooms zu sichern, dann kann das eindeutig nachverfolgt werden.

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